Überlegungen zum geplanten Neubau auf dem sog. Dragoner Areal

Das sog. Dragoner Areal soll demnächst dem Land Berlin übereignet werden. Zwar laufen derzeit noch juristische Klagen über Eigentumsverhältnisse und gegen die Verhinderung der Privatisierung des Areals, doch die Vorstellungen über die Gestaltung des Areals nehmen Fahrt auf.

Der Berliner Senat setzt auf Neubau

Der Senat hat den Rathausblock mit dem Areal 2016 als Sanierungsgebiet ausgewiesen und im Rahmen der dabei erforderlichen Bürgerbeteiligung seine Vorstellungen für die Zukunft des Areals klar konturiert: 650 Wohnungen sollen gebaut werden, davon 50 Prozent „bezahlbarer Wohnraum“.

Zweifel an der Notwendigkeit einer umfangreichen Bebauung des Areals werden schnell als unberechtigt zurückgewiesen: Schließlich fehlen in Berlin tausende bezahlbare Wohnungen für Menschen, die Transferleistungen beziehen oder von geringem Ein­kom­men leben müssen. Doch man muss sich zunächst darüber verständigen, was mit „bezahlbar“ tatsächlich gemeint ist. Eine Miete von 6,50 €/ m² netto kalt, wie sie derzeit nicht nur von der Politik als „bezahlbar“ gehandelt wird, ist für Menschen mit geringem Einkommen eben nicht bezahlbar. Außerdem gilt es zu hinterfragen, warum eine Bebau­ung des Areals von Seiten des Senats als DIE (einzige) Möglichkeit gehandelt wird, um das Wohnungsproblem — eine Folge jahrzehntelanger verfehlter Wohnungspolitik des Berliner Senates — zu lösen.

Eine Stadtoase mit Kleingewerbe und vielen Freiflächen soll verschwinden — als Folge verfehlter Wohnungspolitik

Dragogebaeude                  Ausschnitt — L-förmiges denkmalgeschütztes Gebäude auf dem Areal 

Der rot-rote Senat unter Wowereit hatte die Förderung des Sozialen Wohnungsbaus beendet, um den Haushalt zu entlasten. Mangels „Anschlussförderung“ kommen die Sozialwohnungen nun auf den freien Markt. Allein im vergangenen Jahr waren es 8.718 Wohnungen. Dieser Senat hatte zudem mit dem Wohn­raumgesetz die Flucht aus dem Sozialen Wohnungsbau legalisiert, weil so beim ersten Verkauf eines Sozialbaus alle sozialen Bindungen wegfielen und die Wohnungen zu Marktmieten angeboten werden durften.[1]

Unter Rot-Schwarz ging der Ausverkauf der Stadt an Immobilienspekulanten munter weiter. Die Verdrängung von Mieter*innen und des Kleingewerbes wurde weiter forciert.
Im Sanierungsgebiet sind die Angebotsmieten seit 2009 um 74% gestiegen, in der näheren Umgebung sind tausende neue Wohnungen entstanden, befinden sich im Bau oder sind geplant. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Wohneigentum, darunter sind zahlreiche Luxuswohnungen. Die Vertreibung ist in vollem Gange.

Dieser Entwicklung wird auch vom jetzigen Senat wenig entgegensetzt Nach wie vor werden Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt, auch in Milieuschutzgebieten, Ferien­wohnungen geduldet, Modernisierungsmaßnahmen auf die Miete umgelegt, Leerstand von Wohnungen und ganzen Häusern zu Spekulationszwecken hingenommen, sozialgebunde­ne Wohnungen abgeschafft, Menschen zwangsgeräumt, kieznahes Gewerbe verdrängt.

Das „Dragoner Areal“ ist eine der letzten Fläche im Quartier, die nicht bis auf den letzten Quadratmeter bebaut ist. Eine Chance wäre vertan, wenn auch sie durch massenhaften Wohnungsbau zerstört würde. Gerade in den Ballungszentren benötigen wir solche Flächen und Räume, brauchen wir ökologische Nischen, Frischluftschneisen und nicht versiegelte Flächen.

Gibt es andere Maßnahmen, um den Verdrängungsprozess zu stoppen?

Wie ist es möglich – um nur ein Beispiel aus der unmittelbaren Umgebung zu nennen –, dass im ehemaligen Postbank-Hochhaus am Halleschen Ufer satte 320 luxuriöse Apartments mit Mieten bei 18 € / m² netto kalt entstehen können? Wie ist es möglich, dass auf dem gleichen Grundstück 5 Wohngebäude mit insgesamt 386 Wohnungen neu gebaut werden, mit Mieten zwischen 10 – 16 € /m² netto kalt, und dass lediglich 25 % dieser Wohnungen durch Sozialen Wohnungsbau gefördert werden? Warum haben sich Senat und Bezirk nicht stärker dafür engagiert, dass dort viel mehr preiswerter Wohnraum entsteht?

Warum nun eine Bebauung ausgerechnet des „Dragoner Areal“? Warum werden nicht gezielt und konsequent andere Maßnahmen ergriffen, um der Verdrängung im Quartier und überall im Bezirk entgegenzuwirken? Solche Maßnahmen wären:

  • absolutes Verbot von Umwandlungen in Eigentumswohnungen,
  • keine Genehmigungen für den Neubau von Wohneigentum und von Luxuswohnungen,
  • kein Abriss intakter Mietshäuser mit sozialverträglichen Mieten (wie zuletzt in der Enckestraße),
  • Bestandsschutz für diejenigen, die hier (noch) wohnen oder Gewerbe betreiben,
  • Milieuschutzgebiete nicht erst dann auszuweisen, wenn der Umwandlungsprozess bereits größtenteils abgeschlossen ist,
  • konsequente Durchsetzung der Zweckentfremdungsverbotsverordnung.
Wir wollen nicht, dass dem Stadtteil wieder ein Megaprojekt übergestülpt wird. Wir wollen nicht, dass der Stadtteil weiter verdichtet und versiegelt wird.

Die „Bürgerbeteiligung“ dient dem Senat lediglich als Alibi, um seine Ziele für das sog. Dragoner Areal durchzusetzen. Wir lehnen die Durchsetzung der Planungen aus den Schubladen des Bezirksamtes und des Senats rigoros ab. Deshalb fordern wir ein sofortiges Moratorium für die Gestaltung des Areals. Wir wollen, dass die Zukunft für das Areal in einem breiten Diskussionsprozess von Unten ─ selbstorganisiert ─ entschieden und umgesetzt wird, ohne Vorgaben von oben. Wie es aussehen könnte auf dem Areal ─ Grünflächen, Erhalt und ggf. Zuwachs des kieznahen Kleingewerbes, unkommerzielle soziale und kulturelle Projekte, Neubau von bezahlbaren Wohnungen ─ das kann nur von Nachbar*innen, Anwohner*innen, Bedarfsgruppen und stadtpolitischen Initiativen gemeinsam entschieden werden!

Ob, wie viel und wie gebaut werden soll, soll in diesem Prozess von Unten diskutiert und angeschoben werden. Wenn man dabei zu dem Ergebnis kommt, dass auf dem „Dragoner Areal“ auch Wohnungen gebaut werden sollen, dann müssen es 100 % wirklich bezahlbare Wohnungen sein. Das heißt, dass die Miete durch die Kostenübernahme des Jobcenters bei ALG II-Bezieher*innen gedeckt sein muss. Das entspricht etwa 5 €/ m² netto kalt.


WEM GEHÖRT KREUZBERG   ─    November 2017

[1]
Tagesspiegel 05.10.2017: Berlin verliert weiter bezahlbare Wohnungen