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Pressemitteilung vom 09.11.2015: Konkurrenz zwischen einheimischen und zugewanderten Wohnungslosen verhindern

Heute beginnt die dreitägige Bundestagung der BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W), des Dachverbandes der Wohnungslosenhilfe in Deutschland, in Berlin. Mit 900 Teilnehmenden und Mitwirkenden ist dies die bislang größte Tagung der Wohnungslosenhilfe in Deutschland. Das große Interesse der Fachleute aus Sozialarbeit, Verbänden, Kommunen, Wohnungswirtschaft, Wissenschaft und Betroffenenorganisationen zeigt den enormen Problem- und Handlungsdruck in fast allen Regionen des Landes.

335.000 Menschen in Deutschland sind ohne Wohnung — so viele wie seit über zehn Jahren nicht mehr. Fast 40.000 von ihnen leben ohne jede Unterkunft auf der Straße. Diese Zahlen sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Bis zum Jahr 2018 ist nach Schätzung der BAG W mit mehr als einer halben Million wohnungsloser Menschen zu rechnen.

Winfried Uhrig, Vorsitzender der BAG W erklärte: „Es fehlen bezahlbare Wohnungen für wohnungslose Menschen und für viele andere einkommensarme Haushalte, die von Hartz IV leben müssen, im Niedriglohnsektor arbeiten oder eine Teilzeitbeschäftigung haben. Auch die Flüchtlinge und EU-Zuwanderer, die Schutz, Arbeit und Auskommen in Deutschland suchen, sind auf bezahlbare Wohnungen angewiesen. Wir stellen also fest: Einer immer größeren Zahl Wohnungssuchender mit geringem Einkommen steht ein ständig schrumpfendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung.“

Konkurrenz auf den Wohnungsmärkten

Die zunehmende Konkurrenz auf den Wohnungsmärkten sei inzwischen unübersehbar, so Uhrig. Vorschnell werde die Wohnungsnot mit der Zuwanderung begründet. „Solidarität statt Konkurrenz ist unser Motto. Wir sagen ganz deutlich: Die Zuwanderung hat die Krise auf den Wohnungsmärkten nicht ausgelöst, sondern wirkt eher als Katalysator, der das ganze Ausmaß der Fehlentwicklungen und politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre offen zu Tage treten lässt. Genannt werden muss hier der drastische Rückgang des sozialen Wohnungsbaus oder der Verkauf öffentlicher Wohnungsbestände an private Investoren. So steht in den Kommunen kaum noch preiswerter Wohnraum zu Verfügung.“ Darüber hinaus gebe es noch immer zu wenige Fach- und Präventionsstellen in den Kommunen, die helfen könnten, Wohnungsverluste abzuwenden.


Auf der Tagung der Wohnungslosenhilfe werden konkrete Forderungen an die politisch Verantwortlichen in den Kommunen, in den Bundesländern und im Bund formuliert. Zum anderen stehen Konzepte zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums auf der Tagung zur Diskussion ebenso wie Maßnahmen, die den Zugang bereits wohnungsloser Menschen zu Wohnungen ermöglichen. Anlässlich der Tagung erneuerte die BAG W ihre Forderung an die Bundesregierung einen Wohnungsgipfel einzuberufen, u. a. mit dem Ziel eines Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit und zur Versorgung von Wohnungslosen und Flüchtlingen mit eigenem Wohnraum. Uhrig verwies darauf, dass der Verband bereits 2014 dafür ein Konzept vorgelegt habe.

Winfried Uhrig: „Für uns steht fest: Für die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum erweist sich die Dezentralisierung der Wohnungspolitik durch die Föderalismusreform von 2006 immer mehr als Fehlentscheidung, die zurückgeholt werden muss. Auch der Bund muss wieder Verantwortung in der Wohnungspolitik übernehmen!“

Zuspitzung der Krise bei der Notunterbringung der Menschen ohne Wohnung

Weil wohnungslose Menschen keine Chancen mehr auf dem Wohnungsmarkt haben, sitzen sie in oft menschenunwürdigen Notunterkünften fest. Insb. wohnungslose Frauen und junge Wohnungslose leben häufig in prekären Mitwohnverhältnissen, in denen sie mitunter besonders gefährdet sind.


„Einer Notunterkunft fehlt alles das, was eine Wohnung auszeichnet: Sicherheit durch einen Mietvertrag, Privatsphäre, Schutz und Geborgenheit. Sanitäre Anlagen sind häufig unzumutbar. Frauen müssen dort sexualisierte Gewalt fürchten“, erklärte Uhrig.

Der Winter steht vor der Tür: Jede Gemeinde ist verpflichtet, die für die Unterbringung von obdachlosen Menschen notwendigen Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit steht jedem Menschen – unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit und seinem Aufenthaltsstatus zu.

In der Praxis erfüllten — so der Verband — Kommunen diese Aufgabe oft nicht oder nur unzureichend. Thomas Specht, Geschäftsführer der BAG W, erklärte: „Um unseren Forderungen nach ausreichend vielen und menschenwürdigen Notunterbringungen für alle Betroffenen weiteren Nachdruck zu verleihen, haben wir als BAG W ein Rechtsgutachten zur ordnungsrechtlichen Unterbringungsverpflichtung der Kommunen in Auftrag gegeben.“ Das Guthaben wurde von Rechtsanwalt Karl-Heinz Ruder, dem renommierten Experten für Ordnungsrecht und ehemaligem Stadtrechtsdirektor erstellt.

Als Kernpunkte des Rechtsgutachtens benennt Thomas Specht: 
  • Nach den Polizei-, Sicherheits- und Ordnungsgesetzen aller Bundesländer ist es die Aufgabe der Polizei, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die unfreiwillige Obdachlosigkeit stellt eine Beeinträchtigung des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit dar. Es ist deshalb die Aufgabe der Polizei, Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr zu ergreifen.
  • Örtlich zuständig sind die Gemeinden und Städte, in denen sich eine obdachlose Person tatsächlich aufhält und ihre Einweisung in eine Notunterkunft beantragt. De facto sind das in der Regel die Ordnungsämter.
  • Durch den Zustand der (unfreiwilligen) Obdachlosigkeit werden wichtige Individualrechte wie das Recht auf Leben, auf Gesundheit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Menschenwürde gefährdet. Diese fundamentalen Grund- und Menschenrechte stehen allen natürlichen Menschen zu. Auch die Obdachlosigkeit von Unionsbürgern und sonstigen Ausländern gefährdet somit die öffentliche Sicherheit.
  • Bei der Beurteilung dieser Gefahrenlage kommt es nicht auf die Nationalität oder auf den jeweiligen Aufenthaltsstatus des Betreffenden an. Entscheidend ist vielmehr, durch welche Maßnahmen die Gefahr (der unfreiwilligen Obdachlosigkeit) effektiv und rasch beseitigt werden kann. Hierbei ist es die Aufgabe der Polizei, im Rahmen ihres Ermessens die gefährdeten Individualrechte zu schützen.
  • Beantragt eine obdachlose Person bei der Polizei ihre Unterbringung, wird in der Regel das polizeiliche Ermessen, einzuschreiten „auf null reduziert“; d. h. für die Behörde gibt es nur noch eine rechtmäßige Entscheidung: den Betroffenen zum Schutz seiner Rechte in eine Notunterkunft einzuweisen.
  • Die Polizei kann im Rahmen ihres Ermessens versuchen, einen Antragsteller freiwillig davon zu überzeugen, dass er nicht auf einer ordnungsrechtlichen Einweisung besteht. Bei einem Unionsbürger kommt auch die Organisation einer Rückreise in Betracht. Die Behörde kann aber die Person nicht zwingen, dieses Angebot anzunehmen oder damit drohen, dass im Falle der Nichtannahme eines Rückreiseangebots der Unterbringungsanspruch verloren geht.
  • Die Einweisung muss den Mindestanforderungen an eine menschenwürdige Unterbringung entsprechen. Jederzeit muss das sog. zivilisatorische Minimum gewährleistet werden. Dazu gehört neben einer angemessenen Ausstattung der Unterkunft eine Unterbringungsmöglichkeit auch tagsüber.
Thomas Specht: „Mit dem Gutachten ist klargestellt, dass Obdachlose aus Deutschland, obdachlose EU- Migranten und Migrantinnen und obdachlose Flüchtlinge (anerkannte Asylbewerber) Ansprüche auf eine Notunterbringung haben. Diese Rechtslage stellt sicher eine Herausforderung für Kommunen dar, die bislang häufig versuchen, die Notunterbringungsansprüche von Obdachlosen und insb. von EU-Migrantinnen und Migranten zu negieren. In den niedrigschwelligen Angeboten der Wohnungslosenhilfe, so beispielsweise in den hier angesprochenen Tagesaufenthalten, steigt seit Jahren der Anteil der Migrantinnen und Migranten, aber diese Träger der Wohnungslosenhilfe werden oft nicht ausreichend von der öffentlichen Hand unterstützt.“

Angesichts der rechtlich gebotenen grundsätzlichen Gleichbehandlung aller von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus, muss die Gleichbehandlung als Handlungsprinzip sowohl in der ordnungsrechtlichen Notversorgung als auch bei niedrigschweIligen Hilfen in freier Trägerschaft realisiert werden.

Thomas Specht: „Solidarität statt Konkurrenz bedeutet für uns: Die Kommunen müssen sich auch dieser Herausforderung annehmen und die Notunterbringung wie auch die Tagesaufenthalte und andere niedrigschwellige Infrastrukturen ausreichend finanziell und personell ausstatten. Diese Riesenaufgabe können schon jetzt viele Kommunen nicht alleine schultern. Deswegen fordern wir als BAG Wohnungslosenhilfe: Um dem durch verstärkte Zuwanderung zunehmenden Hilfebedarf gerecht zu werden, bedarf es einer Mitfinanzierung der kommunalen Notversorgung durch den Bund.“

Öffentliche Aktion gegen Wohnungsnot am 11.11.2015 vor dem Brandenburger Tor

MieterInnenverein Witten u. Umg. e.V.: www.mvwit.de