Die Fontanepromenade 15
Von der Genossenschaft über das Naziamt zum Start-Up
Bei sommerlichem Wetter spendet eine Reihe alter Platanen Spaziergängern Schatten, die Straße erinnert an die Alleen in der Mark Brandenburg, durch die der Schriftsteller Theodor Fontane so gerne wanderte. Fünf Jahre nach seinem Ableben erhielt das Sträßchen mit der Nummer 13 des Hobrechtschen Bebauungsplanes seinen Namen: Fontanepromenade.
Während auf der östlichen Seite der Promenade hohe und herrschaftliche Mietshäuser die Straße flankieren, erfreut sich die gegenüberliegende Seite, wo zu Fontanes Zeiten noch die Soldaten des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments ihre Quartiere hatten, bis heute einer eher sonnigen und lockeren Bebauung mit Vorgärten, Sportstätten und Spielhöfen zweier Schulen und einer Kita.
An jener Stelle, wo die Freiligrathstraße auf die Promenade trifft, steht ein von der Zeit scheinbar vergessenes einstöckiges Landhaus mit Fensterläden und Stuck an Türen und Fenstern, das ohne weiteres auch an einer der vielen Allee in der Mark stehen könnte: die Fontanepromenade Nummer 15.
Das Haus mit den Nummern 14 -16 wurde 1906 von der Berliner Fuhrwerksberufsgenossenschaft gebaut und hatte zunächst zwei Seitenflügel, die allerdings im Krieg zerstört wurden.
1931 verpachteten die Fuhrwerker das Gebäude und bezogen ein Haus in der Wexstraße am Innsbrucker Platz. Aus der Genossenschaft wurde das Arbeitsamt Süd. 1951 verkaufte der Verband das verbliebene Hauptgebäude des einst 110 Meter langen Hauses an der Promenade an die Mormonen.
Anfang der Sechzigerjahre schließlich erwarb die Stadt die seitlichen, leerstehenden Grundstücks-teile zum Bau der Karl-von-Ossietzky-Schule.
So wuchs beinahe Gras über ein dunkles Kapitel, das 1938 mit dem Inkrafttreten eines geheimen Erlasses des Reichsarbeitsministeriums begann, der die Landesarbeitsämter zur »Rekrutierung reichsdeutscher Juden zur Zwangsarbeit« aufforderte.
Das Arbeitsamt Süd wurde zur »Zentralen Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt«.
Das etwas versteckt in einer Seitenstraße, aber zentral gelegene Gebäude eignete sich, um, ohne viel Aufsehen zu erregen, die Separierung zwischen jüdischen Zwangsarbeitern und »arischen Dienstpflichtigen« durchzuführen.
Die Nummer 15, unter jüdischen Bürgern nur noch »Schikanepromenade« genannt, wurde zu einer gefürchteten Adresse. Lange Wartezeiten und ständiges Schikanieren waren sprichwörtlich.
Hier wurden Familien getrennt, und hier wurde nicht selten über Leben und Tod entschieden. Das Arbeitsamt war zum »Selektionsamt« an der Schnittstelle zwischen Zwangsarbeit und Vernichtung geworden. In der Fontanepromenade wurde das Schicksal von etwa 26 000 Berliner Juden mit Brief und Stempel besiegelt.
Seit 1936 war das Arbeitsbuch als »zweckdienliches Erfassungs und Planungsinstrument der Arbeitsverwaltung« eingeführt worden, um »die zweckentsprechende Verteilung der Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft zu gewährleisten.« Doch schon wenige Jahre später dienten die darin festgehaltenen Personalien den Nazis bei ihrer unmenschlichen »Säuberungsaktion.« Am Morgen des 27. Februar 1943 wurden mithilfe dieses Arbeitsbuches in der sogenannten »Fabrik-Aktion« bei Schichtbeginn 11.000 Juden aussortiert und in die Vernichtungslager deportiert.
Lediglich in sogenannten »Mischehen« lebende Juden wurden zunächst ausgenommen.
Um diese Geschehnisse vor dem Vergessen zu bewahren, gründete sich 2016 die Initiative Gedenkort Fontanepromenade 15. Sie möchte den Ort als Mahnmal erhalten und hat im Abgeordnetenhaus ein umfassendes Konzept für die künftige Nutzung des Gebäudes vorgelegt.
Dem jetzigen Eigentümer allerdings, der »Fontanepromenade 15 GbR«, waren die engagierten Kreuzberger im Wege. Die GbR hatte das historische Gebäude im Mai 2015 erworben und aufwendig umgebaut. Während im Dachgeschoss Wohnungen entstanden sind, wurden im Erdgeschoss Büroräume eingerichtet.
Über dem Eingang wiest seit dem Einzug der Mormonen ein Schild auf die Religionsgemeinde hin, die das Gebäude bis vor wenigen Jahren für ihre Gottesdienste nutzte. An das jüdische Arbeitsamt erinnert erst seit 2013 eine Gedenktafel vor dem Haus.
Immerhin erhielt die Initiative vom neuen Eigentümer ein schriftliches Mietangebot, dann allerdings erklärte man, nur noch mit dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, zu korrespondieren. Tatsächlich wurden daraufhin der Stiftung im Doppelhaushalt 2018/2019 »bis zu 50.000 Euro für Kooperationsprojekte mit der Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15« bereitgestellt.
Doch die monatelangen Diskussionen zwischen der Stiftung und dem Bürgerverein führten zu keinem Ergebnis, woraufhin Nachama im Mai 2018 zu seinem »Bedauern« — zumal auch seine Mutter einst über die Schikanepromenade in die Zwangsarbeit vermittelt worden war — den Verhandlungsauftrag an den Kultur-Senat zurückgab und auf die zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel verzichtete.
Seit Mitte Mai sind die beiden Büroräume, die für den Gedenkort vorgesehen waren, an ein Start-Up-Unternehmen vermietet.
Die Bürgerinitiative allerdings gibt nicht auf. Sie versucht, die bereitgestellten Mittel für die Einrichtung einer Gedenkstätte doch noch zu nutzen und hatten Kultursenator Lederer um ein Gespräch gebeten.
Bislang leider ohne Resultat. Aber die Arbeit gegen das Vergessen geht weiter. Zumindest die Unterstützung der noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ist dem Bürgerverein sicher.
erschienen in KREUZBERGER Chronik, November 2018
Von der Genossenschaft über das Naziamt zum Start-Up
Bei sommerlichem Wetter spendet eine Reihe alter Platanen Spaziergängern Schatten, die Straße erinnert an die Alleen in der Mark Brandenburg, durch die der Schriftsteller Theodor Fontane so gerne wanderte. Fünf Jahre nach seinem Ableben erhielt das Sträßchen mit der Nummer 13 des Hobrechtschen Bebauungsplanes seinen Namen: Fontanepromenade.
Während auf der östlichen Seite der Promenade hohe und herrschaftliche Mietshäuser die Straße flankieren, erfreut sich die gegenüberliegende Seite, wo zu Fontanes Zeiten noch die Soldaten des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments ihre Quartiere hatten, bis heute einer eher sonnigen und lockeren Bebauung mit Vorgärten, Sportstätten und Spielhöfen zweier Schulen und einer Kita.
An jener Stelle, wo die Freiligrathstraße auf die Promenade trifft, steht ein von der Zeit scheinbar vergessenes einstöckiges Landhaus mit Fensterläden und Stuck an Türen und Fenstern, das ohne weiteres auch an einer der vielen Allee in der Mark stehen könnte: die Fontanepromenade Nummer 15.
Das Haus mit den Nummern 14 -16 wurde 1906 von der Berliner Fuhrwerksberufsgenossenschaft gebaut und hatte zunächst zwei Seitenflügel, die allerdings im Krieg zerstört wurden.
1931 verpachteten die Fuhrwerker das Gebäude und bezogen ein Haus in der Wexstraße am Innsbrucker Platz. Aus der Genossenschaft wurde das Arbeitsamt Süd. 1951 verkaufte der Verband das verbliebene Hauptgebäude des einst 110 Meter langen Hauses an der Promenade an die Mormonen.
Anfang der Sechzigerjahre schließlich erwarb die Stadt die seitlichen, leerstehenden Grundstücks-teile zum Bau der Karl-von-Ossietzky-Schule.
So wuchs beinahe Gras über ein dunkles Kapitel, das 1938 mit dem Inkrafttreten eines geheimen Erlasses des Reichsarbeitsministeriums begann, der die Landesarbeitsämter zur »Rekrutierung reichsdeutscher Juden zur Zwangsarbeit« aufforderte.
Das Arbeitsamt Süd wurde zur »Zentralen Dienststelle für Juden beim Berliner Arbeitsamt«.
Das etwas versteckt in einer Seitenstraße, aber zentral gelegene Gebäude eignete sich, um, ohne viel Aufsehen zu erregen, die Separierung zwischen jüdischen Zwangsarbeitern und »arischen Dienstpflichtigen« durchzuführen.
Die Nummer 15, unter jüdischen Bürgern nur noch »Schikanepromenade« genannt, wurde zu einer gefürchteten Adresse. Lange Wartezeiten und ständiges Schikanieren waren sprichwörtlich.
Hier wurden Familien getrennt, und hier wurde nicht selten über Leben und Tod entschieden. Das Arbeitsamt war zum »Selektionsamt« an der Schnittstelle zwischen Zwangsarbeit und Vernichtung geworden. In der Fontanepromenade wurde das Schicksal von etwa 26 000 Berliner Juden mit Brief und Stempel besiegelt.
Seit 1936 war das Arbeitsbuch als »zweckdienliches Erfassungs und Planungsinstrument der Arbeitsverwaltung« eingeführt worden, um »die zweckentsprechende Verteilung der Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft zu gewährleisten.« Doch schon wenige Jahre später dienten die darin festgehaltenen Personalien den Nazis bei ihrer unmenschlichen »Säuberungsaktion.« Am Morgen des 27. Februar 1943 wurden mithilfe dieses Arbeitsbuches in der sogenannten »Fabrik-Aktion« bei Schichtbeginn 11.000 Juden aussortiert und in die Vernichtungslager deportiert.
Lediglich in sogenannten »Mischehen« lebende Juden wurden zunächst ausgenommen.
Um diese Geschehnisse vor dem Vergessen zu bewahren, gründete sich 2016 die Initiative Gedenkort Fontanepromenade 15. Sie möchte den Ort als Mahnmal erhalten und hat im Abgeordnetenhaus ein umfassendes Konzept für die künftige Nutzung des Gebäudes vorgelegt.
Dem jetzigen Eigentümer allerdings, der »Fontanepromenade 15 GbR«, waren die engagierten Kreuzberger im Wege. Die GbR hatte das historische Gebäude im Mai 2015 erworben und aufwendig umgebaut. Während im Dachgeschoss Wohnungen entstanden sind, wurden im Erdgeschoss Büroräume eingerichtet.
Über dem Eingang wiest seit dem Einzug der Mormonen ein Schild auf die Religionsgemeinde hin, die das Gebäude bis vor wenigen Jahren für ihre Gottesdienste nutzte. An das jüdische Arbeitsamt erinnert erst seit 2013 eine Gedenktafel vor dem Haus.
Immerhin erhielt die Initiative vom neuen Eigentümer ein schriftliches Mietangebot, dann allerdings erklärte man, nur noch mit dem Direktor der Stiftung Topographie des Terrors, Andreas Nachama, zu korrespondieren. Tatsächlich wurden daraufhin der Stiftung im Doppelhaushalt 2018/2019 »bis zu 50.000 Euro für Kooperationsprojekte mit der Initiative »Gedenkort Fontanepromenade 15« bereitgestellt.
Doch die monatelangen Diskussionen zwischen der Stiftung und dem Bürgerverein führten zu keinem Ergebnis, woraufhin Nachama im Mai 2018 zu seinem »Bedauern« — zumal auch seine Mutter einst über die Schikanepromenade in die Zwangsarbeit vermittelt worden war — den Verhandlungsauftrag an den Kultur-Senat zurückgab und auf die zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel verzichtete.
Seit Mitte Mai sind die beiden Büroräume, die für den Gedenkort vorgesehen waren, an ein Start-Up-Unternehmen vermietet.
Die Bürgerinitiative allerdings gibt nicht auf. Sie versucht, die bereitgestellten Mittel für die Einrichtung einer Gedenkstätte doch noch zu nutzen und hatten Kultursenator Lederer um ein Gespräch gebeten.
Bislang leider ohne Resultat. Aber die Arbeit gegen das Vergessen geht weiter. Zumindest die Unterstützung der noch lebenden Zeitzeuginnen und Zeitzeugen ist dem Bürgerverein sicher.
erschienen in KREUZBERGER Chronik, November 2018