Wir — die Stadtteilinitiative WEM GEHÖRT KREUZBERG — möchten gerne die Karte der Verdrängungsprozesse für "61" aktualisieren: viele Mietshäuser haben nicht nur die Abgeschlossenheitserklärung, sondern sind mittlerweile in Eigentumswohnungen umgewandelt. Kündigungen wegen 'Eigenbedarf' haben Hochkonjunktur. Ferienwohnungen in lukratives möbliertes, zeitlich befristetes Wohnen übertragen. Kleingewerbetreibende verdrängt...
Schaut doch mal in der Karte nach, ob in euren Häusern Daten aktualisiert werden sollten oder ob euer Haus überhaupt schon auf der Karte ist.
Offener Brief: Recht auf Wohnen garantieren — Leerstand beschlagnahmen

Folgenden offenen Brief hat das Bündnis 'Gemeinsam gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn' am 07.10.2020 an Pressevertreter:innen, alle Abgeordnete des Berliner Abgeordnetenhauses sowie an mietenpolitisch aktive Initiativen versandt.

Jedes Jahr werden ca. 5.000 Zwangsräumungen in Berlin vollzogen. 2020 10 08 Liebig34
Manchmal gibt es Protest. Die meisten geschehen aber so still und leise, dass es nicht einmal die Nachbar:innen mitbekommen. Für die Betroffenen endet diese brutalste Form der Verdrängung häufig in der Wohnungslosigkeit oder Obdachlosigkeit. Günstigen Wohnraum finden die wenigsten danach.

Am 9. Oktober wird dies anders sein. Das anarchistische, queer-feministische Hausprojekt in der Liebigstr. 34 in Berlin-Friedrichshain mit 40 Bewohner:innen, einem Veranstaltungsraum und einem Infoladen soll geräumt werden. Nur zum Vergleich, selbst das große Modellprojekt des Senats gegen Wohnungslosigkeit „Housing First“ will innerhalb von 3 Jahren nur 40 Menschen unterbringen.

Ein Großaufgebot der Polizei wird vermutlich den Kiez in den Ausnahmezustand versetzen und viele Anwohner:innen in ihrem Alltag stören. Ein ähnliches Szenario bot sich vor Kurzem den entnervten Bewohner:innen im Neuköllner Schillerkiez bei der Räumung der Kneipe Syndikat. Der ganze Einsatz soll aber nicht als krasser Angriff auf die Interessen der Berliner Mieter:innen gesehen werden, sondern wird als ein Beispiel für rot-rot-grüne Sicherheitspolitik verkauft. Denn seit Jahren werden im Friedrichshainer Nordkiez in einen sogenannten „Gefahrengebiet“ grundlegende Bürgerrechte außer Kraft gesetzt, begleitet von einer entsprechenden Medienkampagne. Das Einrichten der sogenannten „roten Zone“ setzt dem ganzen die Krone auf. Weder Demonstrations- noch Bewegungsfreiheit sollen hier ihren Platz finden.
Die Schließung einer Grundschule und einem halben Dutzend Kitas werden ebenfalls in Kauf genommen.

Auch wir fühlen uns unsicher, aber nicht wegen militanter politischen Aktionen in einem kleinen Kiez, sondern wegen des alltäglichen Mietenwahnsinns in ganz Berlin. Auch dieses Jahr wird der Wohnungsnotstand nicht behoben. Neuvermietungspreise steigen weiter, Wohnungen werden in Eigentum umgewandelt und Mieter:innen werden wegen Eigenbedarfs aus ihren 4-Wänden geklagt.

Die treibenden Akteure sind die Immobilienspekulanten der Padovicz Group. Ihnen gehören nicht nur die Liebig34, sondern insgesamt mehrere tausend Wohnungen in ganz Berlin. Darunter sind auch die (weitest-gehend) leer stehenden Objekte in der Hauptstraße 1 in Lichtenberg, der Kröllstraße 12 in Alt-Treptow und der Weidenweg 63 in Friedrichshain. Nun soll die Liebigstraße 34 diesen beeindruckenden Leerstand ergänzen.

Es ist kein Zufall, dass in einer Stadt mit chronischer Wohnungsnot 40 Mieter:innen aus ihrem Wohnhaus geräumt werden, während der Konzern eines Milliardärs, ganze Häuser leer stehen lässt. Ganz offenbar ist dies die Logik des Marktes. Eine Logik, der wir uns nicht fügen sollten.
Stattdessen fordern wir eine lösungsorientierte Politik, die sich nicht zum Spielball von Investoreninteressen macht.

Hinzu kommt, dass die Infektionszahlen an COVID-19 Erkrankten rasant steigen, die kalte Jahreszeit hat begonnen und sowohl Kältehilfe als auch Notunterkünfte für Wohnungs- und Obdachlose sind auf die Pandemie längst nicht ausreichend vorbereitet. Im April 2020 hat diese Erkenntnis zu einer generellen Aussetzung aller Zwangsräumungen geführt. Nun verkündet der Senat stolz, dass lediglich landeseigene Unternehmen keine Zwangsräumungen mehr durchführen. Von solchen PR-Gags haben wir genug.

Wir fordern den Berliner Senat auf das Menschenrecht auf Wohnen zu garantieren und damit der Berliner Verfassung Geltung zu verschaffen.
Wir erinnern daran, dass diese Rechte universell sind, sie gelten auch für Anarchist:innen und radikale Feminist:innen.
Die Zwangsräumung der Liebig34 und alle weiteren Zwangsräumungen müssen ausgesetzt und abgeschafft werden. Stattdessen muss der Leerstand beschlagnahmt und wieder vermietet werden.

Das Berliner Bündnis gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn ruft alle Gruppen und Initiativen auf gegen Leerstand, Zwangsräumungen und Eigenbedarfskündigungen aktiv zu werden. Wir wollen gemeinsam mit allen Mieter:innen dieser Stadt daran arbeiten, dass soziale Brandstifter wie die Padovicz Group endlich enteignet werden. Wohnraum darf keine Ware bleiben.

Unterzeichnet von:
Berliner Bündnis gegen Verdrängung und #Mietenwahnsinn
Bizim Kiez
Initiativenforum – Stadtpolitik Berlin
Berliner Mietergemeinschaft
Wir bleiben alle – Friedrichshain
Mietenini Weissensee
Kiezpalaver Schöneberg
Bündnis Zwangsräumung verhindern
Friedel54 im Exil
Kunstblock
Eigenbedarf kennt keine Kündigung
Sozialforum Alt-Treptow
Kollektivkneipe Syndikat
Amma 65
Kiezmiezen
Kiezversammlung 44
BfuM
Stadtteilini WEM GEHÖRT KREUZBERG
Mieterrat NKZ
Vernetzung der Akelius-Mieter*innen