April 2019: Zum aktuellen Planungsprozess für das sog. Dragoner Areal in Kreuzberg

Ein Bild dominiert zurzeit die stadtpolitische Öffentlichkeit zum gegenwärtigen Planungsprozess für das Dragoner Areal: Das Land Berlin wird in Kooperation mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und örtlichen Initiativen und interessierten Nachbar*innen die Zukunft des Dragoner Areals bestimmen.

Um für eine breite Zustimmung durch die sogenannte Zivilgesellschaft zu werben, wurde ein Verfahren eingeleitet, in dem alle Beteiligten „auf Augenhöhe“ miteinander kommunizieren sollen. Mit diesem sogenannten Beteiligungsverfahren wird suggeriert, dass es einen gemeinsamen Interessenverbund von Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gibt.

Bei den stadtpolitischen Initiativen stößt dieses Verfahren allerdings auf ein widerstreitendes Echo:

Ein Teil der Initiativen, die seit Jahren zum Dragoner Areal arbeiten, begrüßt das Angebot und erwartet, dass durch eine enge Kooperation von Senat, Bezirk und Initiativen die formulierte Idee eines Modellprojekts auf dem Dragoner Areal realisiert werden könnte.

Andere Initiativen lehnen das Verfahren jedoch ab. Professionalisierung, Spezialisierung, Kommerzialisierung und Intransparenz werden immer deutlicher erkennbar und das Verfahren ist nicht ergebnisoffen angelegt, auch wenn dies suggeriert wird. Innerhalb der angebotenen Strukturen ist gemeinsame Ideenfindung auf Augenhöhe nicht möglich.

Zunehmende Kritik wird auch in der Nachbar*innenschaft erkennbar. Diese Kritik äußert sich einerseits durch abnehmende Beteiligung Interessierter an den vielen Gremien, Foren, AGs, Lernlaboren, andererseits verbal bei Nachbarschaftstreffen und auf Informationsveranstaltungen.

Gemeinsame Ausgangsforderungen

Es muss daher daran erinnert werden, mit welchen gemeinsamen Forderungen zur Zukunft des Dragoner Areals alle Initiativen gestartet waren:
  • Das Dragoner Areal bleibt in öffentlicher Hand, und zwar ohne Spekulation und dauerhaft abgesichert.
    Es ist auch Spekulation, wenn der eine öffentliche Träger, die BiMA, dem anderen öffentlichen Träger, dem Land Berlin, das Areal für Geld veräußert bzw. gegen eine andere Immobilie eintauscht.
  • Ein sofortiges Moratorium für das Areal. Es dürfen keine Fakten geschaffen werden, weder struktureller noch inhaltlicher Art.
  • Für das Dragoner Areal wird ein emanzipatorischer, hierarchiefreier, selbstorganisierter Entwicklungsprozess in Gang gesetzt. Diskussionen, Visionen, Ideen werden in gemeinsamen Versammlungen und Arbeitsgemeinschaften von Nachbar*innen, Stadteil- und stadtpolitischen Initiativen erarbeitet. Akteure, die aktive Mitverantwortung an dem Ausverkauf der Stadt haben, können nicht Teil des Prozesses werden.
  • Dieser Prozess wird Teil der gegenwärtigen stadtweiten Bewegung gegen Gentrifizierung sein. Das Dragoner Areal soll nicht Alibi dafür werden, dass die Mieten ungehindert weiter steigen, dass weiter entmietet und aufgewertet wird. Stattdessen soll aufgezeigt werden, wie Widerstand selbst-organisiert werden kann.
  • Das, was auf dem Areal entsteht, bleibt dauerhaft abgesichert und dauerhaft bezahlbar. Es wird selbstverwaltet und kommunal organisiert.
  • Themen wie Stadtökologie, Verdichtung, Verdrängung, Luxusneubau und Armut sind Teil der Diskussion.
Wie ist der aktuelle Stand im Planungsverfahren:
  • Unabhängig vom sogenannten Beteiligungsverfahren gibt es bereits im Vorfeld klare Vorgaben, dass auf dem Areal Hunderte von Wohnungen entstehen werden. Der Finanzsenator spricht sogar von 700 Wohnungen, die auf dem Areal gebaut werden (Pressemitteilung v. 31.01.2019).
  • Es steht schon fest, dass die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) der Bauträger sein wird.
  • Es steht auch fest, dass die BIM (Berliner Immobilien Management) Verwalterin des Areals wird.
  • Allein für das sogenannte Beteiligungsverfahren stehen zig Millionen öffentliche Gelder zur Verfügung. Wie transparent sind die Ausgaben, wer kontrolliert die Verwendung?
  • Das sogenannte Beteiligungsverfahren wird ausschließlich von bezahlten, professionalisierten Entwicklungsträgern (Stern GmbH, Zebra Log) organisiert, strukturiert, publiziert, geleitet. Die Träger streben eine hierarchisch strukturierte Partizipation an, in der die Akteur*innen und Inhalte festgelegte Plätze einnehmen.
  • Das sogenannte Beteiligungsverfahren ist mit einem Überangebot von Lernlaboren, Werkstätten, Arbeitsgemeinschaften, Gremienräten, öffentlichen Veranstaltungen, halböffentlichen Treffen und internen Zusammenkünften völlig überfrachtet. Der Diskurs wird zunehmend von Spezialist*innen und von bestimmten Initiativen mit finanziellen und zeitlichen Ressourcen bestimmt. Die Ziele werden zunehmend von politischen Handlungs- und Entscheidungsträgern festgelegt und immer weniger offen diskutiert. Für Außenstehende wird dieses Verfahren immer undurchschaubarer
  • Es wurde ein sogenannter Gründungsrat gebildet, der eine Kooperationsvereinbarung erarbeiten soll. Die meisten Teilnehmer dieses Gremiums wurden im Voraus festgelegt. Die Sitzungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dem Gremium fehlt jede Legitimation, für alle Initiativen, Nachbar*innenschaften und Bewohner zu verhandeln.
  • Das Planungsverfahren entwickelt sich immer mehr zum Closed Shop. Als nächstes werden zwei Stadtplanungsbüros Bau- und Nutzungsanforderungen erarbeiten – ebenfalls unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Beteiligung, Kooperation, Augenhöhe — das sind die Floskeln eines Planungsprozesses, dessen Ergebnis bereits vorab und an den Beteiligten vorbei festgelegt wurden. Eine Beteiligung ohne die wichtigsten Beteiligten: Betroffene, Nachbarn, Initiativen, Bewohner, Gewerbetreibende.

Wie weiter?

Partizipation war niemals eine Alternative, um herrschende Strukturen und Inhalte zu verändern.

Wir sind ganz und gar nicht damit einverstanden, dass Diskussionsinhalte so dargestellt werden, als gingen alle Beteiligten mit den Ergebnissen des sogenannten Beteiligungsverfahrens konform.

Die Sprache, die wir in den vielen AGs, Werkstätten, Lernlaboren, in den Vereinbarungen und Newslettern hören, sprechen wir nicht.

Wir fordern ein sofortiges Moratorium für alle Prozesse, die durch das sogenannte Beteiligungsverfahren eingeleitet wurden. In Stadtteil-Versammlungen muss kritisch diskutiert und gemeinsam überlegt werden, wie ein breiter, sozialer, selbstorganisierter, unkommerzieller Planungsprozess entstehen kann.

Der Fokus darf dabei nicht auf dem Dragoner Areal alleine liegen. Die Entwicklungen in der Nachbarschaft, im Stadtteil, in der gesamten Stadt müssen einbezogen werden. Ideen haben wir viele!

Vielleicht könnten auf dem Dragoner Areal viele unkommerzielle soziale und kulturelle Projekte geschaffen werden. Vielleicht könnte kieznahes Gewerbe integriert werden. Vielleicht können grüne Nischen und soziale Freiräume erhalten bleiben. Vielleicht könnten das Postscheckamt und das dazugehörige Gelände vergesellschaftet werden, um dort dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Es gibt viele andere Stimmen, andere Blickwinkel und Ideen zum Dragoner Areal als die, die im Moment durch das Planungsverfahren bestimmt und in der Öffentlichkeit verbreitet werden!

WEM GEHÖRT KREUZBERG